Zwei Monate Geflüchtetenhilfe am ZOB: „Die Ehrenamtlichen haben massiv mit angepackt“

Jörn Rösner ist stellvertretender Einsatzleiter am ZOB.
Die Ukrainerinnen und Ukrainer, die am Omnibusbahnhof in Berlin ankommen, haben eine beschwerliche, mehrtägige Flucht hinter sich.
Am ZOB bekommen die Geflüchteten etwas zu essen und zu trinken vor der Weiterfahrt, bei Bedarf auch Hygieneartikel oder Kleidung und können sich in Zelten oberhalb des Bahnhofs ausruhen. Fotos: Malteser Berlin

Wie blicken Sie als Einsatzleiter heute auf die ersten Tage und Wochen am ZOB zurück?

Jörn Rösner: Unsere Helferinnen und Helfer haben Anfang März innerhalb kürzester Zeit eine kleine Infrastruktur am Omnibusbahnhof geschaffen, um den Kriegsflüchtlingen zu helfen. Oberhalb des Busbahnhofs hat das Malteser-Team in einer Nachtaktion Zelte aufgebaut und eine Station für die sanitätsdienstliche Erstversorgung eingerichtet. Was mich rückblickend besonders beeindruckt hat, ist das große ehrenamtliche Engagement in den ersten Kriegswochen: In den ersten 21 Tagen, haben unsere ehrenamtlichen Einsatzsanitäterinnen und -sanitäter 3000 Stunden im Schichtdienst geleistet. Dafür hat sie der Arbeitgeber freigestellt oder sie haben ihren Resturlaub genommen. Die Ehrenamtlichen haben eine Menge geleistet und massiv mit angepackt.

Was hat Sie in den vergangenen Wochen besonders bewegt?

Rösner: Ich erinnere mich besonders an die Begegnung mit einer älteren Dame aus der Ukraine: Als die Frau in den ersten Kriegswochen erschöpft am ZOB ankam, mussten vier unserer Helfer sie aus dem Bus tragen. Die 93-Jährige hatte sich zuvor mit ihrer 70-jährigen Tochter auf den Weg nach Berlin gemacht. Die Mutter saß im Rollstuhl. Die beiden Ukrainerinnen waren zwölf Tage auf der Flucht. Ich werde die alte Dame nie vergessen. Eine andere Frau ist mir ebenfalls in Erinnerung geblieben: Sie war in der Ukraine in der Oper, als ihre Stadt bombardiert wurde. Nach ihrer Flucht kam sie mit nichts als dem Abendkleid, das sie trug, bei uns am Busbahnhof an. Viele bringen nicht mehr mit nach Deutschland als eine Plastiktragetasche mit ihren Habseligkeiten.

Wie ist die Situation am ZOB heute: Ist inzwischen Ruhe eingekehrt oder befinden Sie sich immer noch in einer Ausnahmesituation?

Rösner: Was die Organisation angeht, sind die Strukturen am ZOB inzwischen viel geregelter als anfangs. Wir sind mit einem hauptamtlichen Team aus 25 Maltesern im Einsatz. Hinzu kommt ein Stamm aus 20 bis 30 freiwillig organisierten Helferinnen und Helfer, die täglich am ZOB sind und mit denen wir gut zusammenarbeiten. Was die Ankunft der Geflüchteten angeht, ist es in den letzten Wochen ruhiger geworden bei uns. Waren es anfangs noch bis zu 1500 Kriegsflüchtlinge, die täglich am ZOB ankamen, sind es jetzt Anfang Mai etwa 200 am Tag. Unser Eindruck ist gerade, dass die Kriegsflüchtlinge in geregelteren Bahnen die Ukraine verlassen. Einige kehren sogar wieder zurück in ihre Heimat zu ihren Familienangehörigen und um zu sehen, was ihr Hab und Gut macht.

Womit rechnen Sie in den kommenden Wochen, was auf Sie und Ihr Team zukommt?

Rösner: Wir wissen es nicht. Die Situation kann sich täglich wieder ändern und verschlimmern. Es hängt alles davon ab, was in der Ukraine passiert und welche Teile des Landes von Russland bombardiert werden. Wir sind vorbereitet, aber die Lage ist unberechenbar.

Wer Geld spenden für die Menschen in der Ukraine und auf der Flucht kann dies direkt unter https://www.malteser.de/ukraine-hilfe tun.

Geflüchtetenhilfe in Berlin – so helfen die Malteser in Berlin:

Viele Geflüchtete aus der Ukraine erreichen Deutschland über Berlin. In der Hauptstadt sind die Malteser am Zentralen Omnibusbahnhof und im Ankunftszentrum am alten Flughafen Tegel im Einsatz, um den ankommenden Kriegsgeflüchteten zu helfen.

Erstkontaktstelle am Zentralen Omnibusbahnhof

Im Auftrag des Berliner Senats haben die Malteser am 3. März 2022 am Zentralen Omnibusbahnhof in Berlin (ZOB) eine Erstkontaktstelle für Geflüchtete errichtet. Ehrenamtliche und hauptamtliche Kräfte der Malteser sind im Schichtsystem rund um die Uhr im Einsatz, um die in Bussen ankommenden Flüchtlinge zu versorgen. Zusammen mit freiwillig organisierten Helfern, nehmen die Malteser die Geflüchteten in Empfang und versuchen ganz praktisch zu helfen.

In fünf beheizten Zelten, die die Malteser eingerichtet haben, können sich die Menschen ausruhen und aufhalten, bekommen etwas zu essen und zu trinken, bei Bedarf auch Hygieneartikel oder Kleidung. In zusätzlichen Containern gibt es Büros, Lagermöglichkeiten für die Spenden sowie eine Sanitätsstation für die medizinische Erstversorgung. Bei der Spendenausgabe sowie der Betreuung der Geflüchteten arbeiten die Malteser Hand in Hand mit den engagierten Freiwilligen vor Ort.

Die Ankunftszahlen am ZOB schwanken seit Anfang März. Waren es in den ersten Wochen bis zu 1500 Menschen, die täglich am Omnibusbahnhof am Funkturm ankamen, kamen Anfang Mai etwa 1000 Geflüchtete wöchentlich. Die Busse aus der Ukraine und aus Polen treffen überwiegend nachts und in den frühen Morgenstunden ein. Täglich, insbesondere nachts müssen die Einsatzsanitäterinnen und -sanitäter Erste Hilfe leisten. 

In der Sanitätsstation, die rund um die Uhr von Einsatzsanitätern der Malteser besetzt ist, bekommen die Geflüchteten eine medizinische Erstversorgung. Die meisten sind erschöpft, übermüdet und überlastet, denn sie haben mitunter fünf Tage gebraucht, bis sie Berlin angekommen sind. Einige Patienten haben starke Ödeme oder infizierte Wunden vom tagelangen Sitzen. Auch gibt es immer wieder Menschen, denen Medikamente fehlen, weil sie ausgegangen sind oder vergessen wurden. Es sind auch viele Kinder, die von den Einsatzsanitätern behandelt werden. Sie klagen über Kopf- und Bauchweh, weil sich das Erlebte psychosomatisch auswirkt. Viele müssen sich übergeben und haben Erkältungssymptome.

Neben der physischen spielt auch die psychische Gesundheit immer wieder eine Rolle. Es gibt immer wieder Geflüchtete, die emotional sehr mitgenommen sind oder traumatisierte Kinder und Familien. Für solche Situationen gibt es eine psychosoziale Notfallversorgung, die sich um die Menschen kümmern und Übersetzer, die helfen können.

Ankunftszentrum im ehemaligen Flughafen Tegel

Das „Ukraine Ankunftszentrum TXL“ wurde am 20. März auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens in Berlin-Tegel eröffnet. Das zentrale Ankunftszentrum wird vom Berliner Senat und den Berliner Hilfsorganisationen betrieben. In Tegel werden in riesigen Zelten auf dem Rollfeld bis zu 10.000 Menschen täglich empfangen und eine Weiterfahrt in Unterkünfte oder andere Bundesländer organisiert. Zudem sind im Hauptterminal bis zu 2.600 Betten aufgestellt. Mehr als drei Nächte Aufenthalt Flughafen sind im Flughafengebäude nicht vorgesehen. Perspektivisch könnten mehr als 12.000 Geflüchtete täglich am TXL-Hub empfangen und in andere Orte in Deutschland weitergeleitet werden oder bei Bedarf auch vorübergehend für wenige Tage im Ankunftszentrum versorgt werden.

Die Malteser kümmern sich auf dem alten Flughafengelände um die Infopunkte und sind dort Ansprechpartner für die Ankommenden. Neben den Infopoints betreuen die Mitarbeitenden auch einen Flügel mit 350 Betten im Airport.